Ein Ausflug in die Geschichte und die Gegenwart unserer lippischen Bergheiden von Teutoburger Wald und Eggegebirge
Fachstelle Umweltschutz und Landschaftspflege im LHB
Wir alle wissen um die Bedrohung der Artenvielfalt.
Von Verlusten besonders betroffen sind Artengemeinschaften kärgster Lebensräume, zu denen Zwergstrauchheiden und Wacholderheiden zählen.
Die Bergheiden des Teutoburger Waldes und Eggegebirges gehören zu den kulturlandschaftlichen Schätzen des Kreises Lippe, die es zu erhalten gilt!
Deshalb stellt sich die Frage nach einer Bestandsaufnahme.
Wie sieht es aktuell dort aus?
Das wollten Mitglieder der Fachstelle Umweltschutz und Landespflege des Lippischen Heimatbundes wissen und trafen sich dort mit der Biologin Ulrike Hoffmann. Diese hat sich im Rahmen ihrer langjährigen Arbeit zur Florenkartierung in Lippe intensiv mit diesen besonders schützenswerten Relikten im Teutoburger Wald beschäftigt.
Inzwischen hat sie mit ihren Mitstreitern/innen im Heft 57 der Lippischen Kulturlandschaften aktualisierte Daten, Erkenntnisse und ein Fazit gezogen, das Sie nachfolgend lesen können.
Die Bergheiden von Knickenhagen und Bärenstein
Ulrike Hoffmann, Lemgo
Von Heiden überzogene, holzleere Reviere galten als wüst, hatten sie doch ihren wirtschaftlichen Wert verloren.
Der eigentliche Wert der lippischen Bergheiden rückt erst heute in den Fokus unserer Aufmerksamkeit: als Relikt einer faszinierenden, einst offenen Kulturlandschaft, die höchst spezialisierten, an Extrembedingungen angepassten Artengemeinschaften letzten Lebensraum bietet. 1959 notierte KOPPE in seinen Anmerkungen zur Flora von Bielefeld und Umgegend: „So hören wir aus gelegentlichen Angaben, daß zu Beginn des vorigen Jahrhunderts (19. Jahrhunderts), ja, noch zu der Zeit, als JÜNGST seine erste umfassende Flora schrieb (1837), die Sandsteinberge [von Teutoburger Wald und Egge] verheidet waren. Dann aber wurden sie mit Kiefern, später auch mit viel Fichten bepflanzt. Heideflächen mit Wacholderbüschen sind heute selten“ (KOPPE 1959). Nennenswerte Areale in Nordrhein-Westfalen finden sich lediglich noch auf den Bergkuppen des Hochsauerlandkreises, während die lippischen Bergheiden auf kleinste Reste zusammengeschmolzen sind. Dieser akuten Gefährdungslage und dem hohen Naturschutzwert von gesamteuropäischer Bedeutung trägt die Ausweisung einzelner Bergheiden des Teutoburger Waldes und Eggekammes als FFH-Schutzgebiete nach Maßgabe der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie Rechnung: Damit unterliegen sie einem Verschlechterungsverbot bzw. einer Wiederherstellungspflicht!
Die natürlichen Prozesse bei der Entstehung der Bergheiden
Geobotanisch-pflanzensoziologische Arbeiten (HÄRDTLE et al. 2004; ELLENBERG/LEUSCHNER 2010) und detaillierte Aufarbeitungen lippischer Waldgeschichte (SCHÄFER 1992; FABER 2017) geben konkrete Anhaltspunkte zur Entwicklung der Bergheiden in unserem Raum. In ihrer Entstehungsgeschichte wie auch in der Zusammensetzung der Artengemeinschaften sind sie von den Tieflandsheiden, z. B. in der Senne, zu unterscheiden!
Die Bezeichnung Berg- oder Hochheide grenzt ihr Vorkommen bereits klar ein. Sehr kleinflächig finden sich letzte Reste auf Keuper-Sandsteinkuppen des Nordlippischen Berglandes, weiträumig aber überzogen sie bis Mitte des 19. Jahrhunderts die Kreide-Sandsteinkette von Teutoburger Wald und Eggegebirge.
Es sind die wind- und sturmexponierten Höhenlagen, die die Keimzellen darstellen. Verstärkt und ausgeweitet wurden die natürlichen Prozesse der Verheidung durch menschliche Nutzungsformen: Die Kulturlandschaft Bergheide entstand, die heute nur durch Nachahmung historischer Nutzung – mit modernen Mitteln – erhalten werden kann!
Man ist sich recht einig, dass die Schichtrippe des Osningstranges (Teutoburger Wald u. Eggegebirge) in historischer Zeit von Laubmischwäldern bestanden war. Die westlichste Kette mit Kreide-Kalkuntergrund trug v. a. Buchenwälder, während sich auf der bodensauren Sandsteinkette Stiel-Eichen konzentrierten.
Der weitgespannte, an der Preußischen Velmerstot bis 468 m hohe Mittelgebirgsbogen ragt unübersehbar aus der Westfälischen Tieflandsbucht auf, den vorherrschenden West- und Südwestwinden schutzlos ausgesetzt. Sturmgewalten der Orkane legen in den Höhenlagen regelmäßig Windwurfflächen frei. Bei Jahres-Niederschlagssummen von mehr als 1000 bis 1400 mm (Velmerstot) sind offene Böden den Kräften der abtragenden Erosion preisgegeben. Selbst dort, wo ein lichter Wald erhalten bleibt, kommt es an exponierten Kuppen, Kanten, Hangrippen und Waldrändern durch Laubausblasung zu Nährstoffverarmung und zu einer raschen Oberbodenversauerung auf dem bereits sauren Sandsteinuntergrund (CELINSKI/WIKA 1977 in HÄRDTLE et al. 2004). Dabei können pH-Werte von 3,5 bis 3 erreicht werden (Zitronensaft pH 2,4), die die abbauende Tätigkeit und Nährstoffbereitstellung durch Bodenbakterien hemmen und damit die Nährstoffversorgung der Pflanzen weiter reduzieren. Die Wasserspeicherfähigkeit der Rohhumusauflagen nimmt ab, die Regenmengen gehen ungenutzt verloren.
Nur wenige Lebensraumspezialisten und Stress-Strategen wie Besenheide (Abb. 1) und Heidelbeere (Abb. 2) sind in der Lage, den Extrembedingungen Übersauerung, Nährstoffarmut, Trockenheit und hoher Verdunstung zu trotzen und mit Rückzug anderer Arten ihr Areal großflächig auszuweiten.
Anpassungsstrategien an den Lebensraum
Die Trumpfkarte der verholzenden Kleinsträucher ist ihre Kleinwüchsig- und ihre Langlebigkeit. Maximale Nährstoffeinsparung durch Materialeinsparung ist das Prinzip. Im dichten Bestand hat der Wind keine Chance und die Verdunstungsraten sind reduziert. Schneelasten in den Gebirgen liegen locker auf und schützen vor Kälte. Ein Anpassungskünstler der besonderen Art ist die Besenheide. Ihre harten, langlebigen, winzigen Rollblätter besitzen – Wüstenpflanzen gleich – versenkte Spaltöffnungen, um die Wasserabgabe auf ein Minimum zu reduzieren. Die konvexe Oberfläche lässt Licht von allen Seiten eintreten und erlaubt es, gar diffuse Nebellagen zur Fotosynthese zu nutzen. Dieselbe Wirkung haben die wintergrünen Zweige der Heidelbeere, mit denen sie selbst nach dem Laubfall noch Fotosynthese betreiben und ihre Ernährung sichern kann.
Aber es geht noch besser!
Im Laufe der Evolution hat sich in der Familie der Ericaceen, zu der Besenheide und Heidelbeere gehören, eine spezielle Lebensgemeinschaft mit Kleinst-Pilzen herausgebildet, die in den Pflanzenwurzeln leben (ericoide Mykorrhiza). Dieser Mykorrhiza-Typ steigert nach LEAK/READ 1989 (ELLENBERG/LEUSCHNER 2010) die Toleranz der Kleinsträucher gegenüber Bodenversauerung und ist besonders effektiv, wenn es darum geht, organische Nährstoffverbindungen aus dem Boden aufzunehmen.
Doch wer in den Bergheiden erfolgreich bestehen und sein Areal vergrößern will, muss die Nachkommenschaft sichern. Hierbei setzt die Besenheide auf Masse: Nach BEIJRERINCK 1940 (ELLENBERG/LEUSCHNER 2010) produziert eine Pflanze bis zu 800.000 winzige luftgetragene Samen, die nach LANDOLT (2010) eine Überlebensfähigkeit von mehr als hundert Jahren besitzen. Untersuchungen von LEGG et al. 1992 (ELLENBERG/LEUSCHNER 2010) belegen eine permanente Samenbank im Boden mit bis zu 30.000 keimfähigen Samen pro m². Als Rohbodenkeimer benötigt die Besenheide allerdings bis auf den Steingrus des Untergrundes erodierte, offene Böden. Eine andere Strategie verfolgt die Heidelbeere. Sie setzt auf vegetative Ausbreitung über Ausläufer und kann so schnell, netzartig offene Bereiche mit einer geschlossenen Pflanzendecke überziehen.
Wer am Ort bestehen will, muss sich gegen Mitkonkurrenten behaupten!
Aushungern und Einsatz chemischer Giftstoffe gehören zu den Abwehrstrategien der Besenheide gegenüber ihren Mitkonkurrenten. Als Rohhumus-Bildner häuft sie in ihrem Umfeld eine Bodendecke aus schwer zersetzbarem Material (harte, vertrocknete Blätter, verholzte Astabschnitte) an – Rohhumus genannt –, das von den meisten Pflanzen nicht als Nährstoffbasis genutzt werden kann. In der Folge erhöht sich der Säuregrad des Bodens, dem ebenfalls nur wenige Arten standhalten. Zusätzlich scheiden Heidepflanzen chemische Abwehrstoffe (z. B. Phenole) aus, die nicht nur auf schnellwüchsige Baumsämlinge giftig wirken, sondern auch den Abbau der Bodenstreu zu frei verfügbaren Nährstoffen hemmen.
Doch keine Strategie ist so vollkommen, als dass sie nicht durch Evolution überwunden werden kann.
Rohhumus-Zehrer wie das Pfeifengras und die Drahtschmiele sind in der Lage, die giftigen Phenole zu neutralisieren und die Nährstoffe im Rohhumus aufzuschließen. Damit ermöglichen sie es Baumsämlingen, in den Bergheiden Fuß zu fassen und die Zwergsträucher durch rasches Höhenwachstum und Beschattung zu verdrängen. Was mit Vergrasung beginnt, endet mit Verbuschung und Wiederbewaldung.
Sozialgeschichtliche Prozesse weiten die Heidebildung aus
Die Geschichte der Waldnutzung in unserer Region ist lang, sehr lang. Befunde von Pollendiagrammen aus dem Hiddeser Bent (POTT 1982) legen eine mehrtausendjährige Nutzung durch Waldhude (Waldweide) in den Sommermonaten und Laubheugewinnung (Schneitelung von Bäumen) zur Winterfütterung nahe. Siedelten die Jungsteinzeitbauern, die vor 7000 Jahren aus Kleinasien einwanderten und in Mitteleuropa den Ackerbau begründeten, in den leicht zu bearbeitenden Lößgebieten, so dienten die bewaldeten Mittelgebirgslagen wie das Weserbergland als saisonale Viehweiden (LÜNING 2015). Bis über das Mittelalter hinaus trieb man von Hirten begleitete Rinder, Schafe, Ziegen und Schweine zur Beweidung (Hude) und zur Eichelmast in die Wälder. Als Futtervorrat für die Winter-Stallzeit wurden laubtragende Zweige in Kopfweidenmanier geschnitten, locker gebündelt und getrocknet (Schneitelwirtschaft). Noch heute lassen sich um die Externsteine und am Hiddeser Bent verschiedene Kappungs- und Verbissformen in dem alten Baumbestand entdecken (Abb. 3).
Die weitausladenden Kronen der Mastbäume (Buchecker-, Eichelmast) verraten, dass sie in einem lichten Wald herangewachsen sind. Gräser bedeckten den Boden. In Offenbereichen der Sandsteinberge traten Besenheide, Heidelbeere und Wacholder hinzu. Fast unmerklich, mosaikartig mit Grünland und Gehölzinseln verzahnt, gingen diese Wälder – anders als heute – in das Umland über. Holz war wertvoll, ein allumfassender Bau- und Werkstoff. Totholz ließ man nicht liegen, sondern trug es als Brennholz ein. Doch Holznotklagen der Bevölkerung sind selten oder tauchen in den Quellen nicht auf, solange die Marken bzw. der Allmende-Wald jedermann innerhalb der Bauernschaft zur Nutzung frei standen und essentieller Teil der kleinbäuerlich geprägten Existenzwirtschaft in Lippe waren (SCHÄFER 1992).
Das Gespenst drohender Holznot wird erst in den Forstordnungen heraufbeschworen, wenn es der Landesherrschaft in Lippe darum geht, die freizügige Waldnutzung Stück für Stück außer Kraft zu setzen, um eigene ökonomische Interessen zu verfolgen (SCHÄFER 1992). Dass es dabei nicht wie vorgegeben um den Schutz der Wälder vor Übernutzung ging, wird aus Forstrechnungen und Mastgeldregistern deutlich: Das Dekret vom 25.8.1694 („so wird … hiermit öffentlich bedeutet, seine oder ihre etwa habende Schweine bei niemand anderes, wer sie auch sein mögen, in oder außer Landes einzutreiben, bevor die herrschaftlichen Forsten versehen (sind) und dieses bei Verlust der Schweine und fernerer harter Bestrafung“) und die Erteilung ebenfalls abgabepflichtiger Hudeberechtigungen für mehr als tausend Stück Vieh um das Hiddeser Bent Anfang des 18. Jahrhunderts verweisen auf eher finanzielle Interessen der Landesherren („Verordnung wegen der von sämtlichen Untertanen im Land in herrschaftlichen Masten zu treibende Schweine“ vom 25. August 1694, in: LAV NRW OWL, L 93 A Tit. 258 Nr. 1, zitiert nach FABER 2017; POTT 1982) (Abb. 4).
Die verschwenderische Hofhaltung Simon VI. in seiner Regierungszeit (1579-1613) und die Auswirkungen des Siebenjährigen Krieges (1756-1763) führten zur Überschuldung der Staatskasse. Erlöse aus dem Wald sollten Abhilfe schaffen. Ein Raubbau großen Stils begann. Gutes Geld brachten Eichenholzexporte zum Schiffbau nach Holland und England. 1616 schloss Simon VII. einen Vertrag mit der Stadt Minden. Dabei ging es um eine jährliche Exportmenge von 12.000 Raummetern Holz (LÜPKES 2023). Holzkohlemeiler lieferten Brennmaterial, das sich gut zur Erzverhüttung in Nachbarländer verkaufen ließ. Nach Berechnung des Oberforstmeisters VON OHEIMB vom 22. Mai 1737 standen bei günstigster Annahme einem Fuder erzeugter Kohle ein Holzverbrauch von 960 Fuder Holz gegenüber (FABER 2017) (Abb. 5). Ein weiteres Produkt war Pottasche, die als Bleichmittel in der Leinenherstellung und als Fließmittel in den Glashütten unersetzlich war. Förderung erfuhren Waldglashütten, obwohl sie als „holzfressendes“ Gewerbe galten, lieferten sie doch wertvolle, zum Export taugliche Luxusartikel. Kalkbrennöfen mussten befeuert werden, um Mörtelkalk für rege Bautätigkeit bereitzustellen. Zu Zeiten Simons VI. waren pro Brand bis zu 30.000 kg Holz vonnöten, damit die erforderlichen 1000 °C über 8 Tage erreicht werden konnten (LÜPKES 2023). Trotz wachsender Holznot wurde bis 1785 brennholztaugliches Holz gar an „auswärtige Ziegeleyen, Glashütten, Kalkbrennereyen, Töpfereyen, Seifensiedereyen, Leinenbleichen und andere vieles Holz verzehrende Fabriken“ verkauft („Verordnung wegen Verkauf des Brennholzes an auswärtige Fabriken“ vom 14. März 1785, Landes-Verordnungen 3, 124-125, zitiert nach FABER 2017). Ein „Holzfresser erster Ordnung“ war die Saline zu Salzuflen, die im Jahr 1770 allein die ungeheure Menge von 1500 Klaftern Brennholz verbrauchte (FABER 2017) (Abb. 6).
Mit Gründung einer wissenschaftlich orientierten, geregelten Forstwirtschaft um 1790 sollte der Holzbedarf gesichert werden, hatte doch der Raubbau zur Verheidung weiter Landstriche beigetragen. 1850 verloren alle Hudeberechtigungen gesetzlich ihre Gültigkeit. Das Bild des lichten mittelalterlichen Allmende-Waldes wandelte sich zum betriebswirtschaftlich organisierten Forst mit Neuaufforstungen aus einheitlichen, dichten Altersklassewäldern und klaren Grenzlinien, wie wir es aus heutiger Landschaft kennen. 1859 folgte das Gesetz zur Gemeinheitsteilung: Dörflicher Gemeinbesitz (Allmenden/Marken) wurde aufgelöst und an landbesitzende Bauern verteilt. Kleinpächter, Tagelöhner oder Handwerker, die zum Lebensunterhalt eine Kuh, Schafe oder Ziegen hielten, gingen leer aus. Damit war der Kampf um die Nutzungsrechte am Wald zugunsten von Privatbesitz und Ökonomie entschieden. Bezahlt wurde er mit der Verarmung der kleinbäuerlichen Landbevölkerung, deren Lage sich bereits Ende des 18. Jahrhunderts durch die angeordnete Stallhaltung des Viehs verschärft hatte (SCHÄFER 1992; FABER 2017).
Wer kein Stroh von eigenem Land besaß, musste als Einstreu für Ställe und Futter Laub zusammenkehren, Heide-, Heidelbeer- und Farnkraut schneiden. 1865 waren für eine Traglast 3 Pfennige und für einen Karren oder Handwagen 1 Silbergroschen zu entrichten (FABER 2017). 1878 berichtet Oberförster LIMBURG, dass „hauptsächlich die ziemlich arme zahlreiche Bevölkerung der Pivitsheide bis jetzt die größte Zahl der Forstfrevler und zwar in der Hauptsache durch Entwendung von Streu geliefert (hat). Die Strafen, welche nach dem alten Gesetze von 1806 festgestellt wurden, schreckten die Forstfrevler zu wenig ab und am wenigen die Streuholer“ (LAV NRW OWL, L 94 Nr. 560, zitiert nach FABER 2017). Grasschneiden und -rupfen ist eine sehr alte, weit in die Frühgeschichte reichende Nutzung, die Anfang des 19. Jahrhunderts nur über Ausgabe von „Zetteln“ erfolgen durfte. So waren je Zettel und Person 10 Silbergroschen zu entrichten und das Rupfen nur an drei Tagen in der Woche unter Aufsicht eines Forstschutzbeamten erlaubt (FABER 2017) (Abb.7). Kostenlos war lediglich das Sammeln von Beeren und Pilzen. Doch selbst in den kargen Bergheiden sah man die arme Landbevölkerung nicht gern, galt das Gebiet doch vorrangig als Äsungsfläche des Hochwildes, das in Tradition absolutistischer Jagdleidenschaft noch immer einen hohen Stellenwert besaß (SCHÄFER 1992; FABER 2017).
Die Existenznot der Landbevölkerung sicherte den Lebensraum Bergheide.
In der Gesamtschau lässt sich festhalten, dass der Erhalt des Lebensraumes Bergheide der unermüdlichen Mühe der um ihre Existenz kämpfenden ländlichen Unterschichten zu verdanken ist. Ihr steter Abtrag von Laub in die Ställe setzte die Arbeit des Windes fort und führte zu weiterer Aushagerung und Versauerung der Böden sowie zur Ausbildung typischer Podsolböden (vgl. Abb. 26). Der regelmäßige Schnitt verjüngte die Heide- und Heidelbeersträucher und regte sie zu Neuaustrieb an. So entstand ein kleinräumiges Mosaik unterschiedlichster Altersstadien, das für den Reichtum der sie besiedelnden Arten notwendige Voraussetzung ist. Brände, die unerlaubterweise gelegt wurden, hatten die gleiche Wirkung. Hohe Gräser und Adlerfarnherden konnten nicht aufkommen und die Zwergsträucher bedrohen, da sie als Futter oder Einstreu für das Vieh gesammelt wurden. Jegliches Fallholz nahm man auf und trug es in Bündeln ab. So wie aus Nordlippe berichtet, wird man auch hier beim Sammeln von Beeren unliebsam aufkommende Junggehölze herausgezogen und entfernt haben. Unwissend zwar um die biologischen Zusammenhänge sorgten die kleinen Leute dafür, dass all die licht- und wärmebedürftigen Arten, die Minimalisten und Hungerkünstler unter den Pflanzen, die in moderner Kulturlandschaft ohne jede Chance sind, auf den Bergheiden des Teutoburger Waldes und Eggegebirges Lebensraum fanden. Und sie erhielten eine einzigartige Landschaft, die uns derzeit verloren zu gehen droht.
Eine aktuelle Bestandsaufnahme
Wie sieht es heute dort aus? Das wollte eine kleine Gruppe Interessierter wissen und so traf man sich am Wanderparkplatz nahe dem Waldschlösschen bei Horn, um in gemeinsamem Austausch die Bergheide des Knickenhagen und des Bärenstein in Augenschein zu nehmen. Gefangen genommen wurden die Blicke von um- und übereinander gestürzten Baumriesen, die am Osthang des Knickenhagen alles unter sich begraben hatten. Tote und teils abgeräumte Fichtenwälder, Ergebnis aufeinanderfolgender Krisenjahre, die von Orkantiefs, Trockensommern und dem Wirken des Borkenkäfers geprägt waren, haben den gewohnten Landschaftseindruck inzwischen gänzlich verändert. Dichte, schattige Nadelwälder der gegenüberliegenden Hänge und Bachtäler sind bloßen, offenen Flächen gewichen.
Das Arteninventar der Bergheiden
Aber nun hinauf zu den Heiden des Knickenhagen. Was dürften wir erwarten? Zum charakteristischen Artenspektrum der Bergheiden gehören allbekannte Zwergsträucher wie Besenheide, Heidelbeere und Preiselbeere RL WEBL 2 (Abb. 8 und 9). Sehr selten sind der stark gefährdete Haar-Ginster (Abb. 10) und der vom Aussterben bedrohte Deutsche Ginster RL WEBL 1. Die auffälligsten Gestalten stellen knorrige, oft bizarr gewachsene, bis zu vier Meter hohe Wacholder RL WEBL 3 dar. Ihre spitzen Nadeln schützen sie vor dem Verbiss der Weidetiere, so dass sie zusammen mit der wintergrünen, stachelblättrigen Stechpalme und dem harten Borstgras RL WEBL 3 (Abb. 11) als typische Hude-Zeiger gelten. Des Weiteren gehören dazu das weißblühende Harzer Labkraut, die gefährdete Sparrige Binse RL WEBL 3 (Abb. 12) und seltenste Bärlapparten wie der kriechende Kolben-Bärlapp RL WEBL 1 (Abb. 13), dessen Stammbaum bis in die Steinkohlezeit vor 350 Mio. Jahren zurückreicht, der aber inzwischen vom Aussterben bedroht ist. Natürlicherweise ist das zu beobachtende Artenspektrum in den Wintermonaten eingeschränkt. Das gilt für krautige Pflanzen wie die Blutwurz RL NRW V (Abb. 14) und den Halbschmarotzer Wiesen-Wachtelweizen (Abb. 15), die im Sommer gelbe Lichtpunkte setzen, den Halbschmarotzer Augentrost RL 3 (Abb 16) sowie für die parasitär lebende, vom Aussterben bedrohte Quendel-Seide RL WEBL 1 (Abb. 17), das stark gefährdete Gras Dreizahn RL WEBL 2 und selbstverständlich für die sonnen- und wärmeliebende Tierwelt der Heiden. Hier sind die lebendgebärende Wald- oder Berg-Eidechse (Abb. 25), der bunte Heide-Grashüpfer RL NRW 3 und die blitzschnellen Feld-Sandlaufkäfer RL NRW V (Abb. 18) mit ihren metallisch-grünen Flügeldecken zu nennen. Ihre gefährlich anmutenden Kieferzangen verraten, dass es sich nicht um Vegetarier handelt. Noch gefräßiger sind ihre Larven, die sich auf den Trittpfaden der Wege durch kreisrunde Öffnungen ihrer unterirdischen Wohnröhren verraten. In offene, besonnte Wegböschungen graben Wildbienen ihre Brutröhren, Feldwespen heften ihre Papierwaben an Pflanzenteile. Für Honigbienen und zahlreiche Hummelarten sind die Blüten der Besenheide eine reiche Nektarquelle. Gefahr droht vom Bienenwolf (Abb. 24), einer Grabwespenart. Sie erbeutet Honigbienen, lähmt sie mit einem Stich, presst sie zusammen, um den austretenden Nektar zu trinken, und trägt die Beute als Futterreserve für ihre Larven in bis 1 m lange Brutröhren ein. Eher kühl liebt es die Kurzflügelige Beißschrecke RL NRW 3S (Abb. 19), die gerade auch die raueren montan geprägten Kammlagen besiedelt. Das Kleine Nachtpfauenauge RL WEBL 3 (Abb. 20 und 21) gehört mit einer Spannweite bis 8,5 cm zu den größten einheimischen Nachtfaltern. Die Männchen können tagsüber beobachtet werden, während die Weibchen versteckt ruhen; Raupenfutterpflanze ist die Besenheide. Tautropfen eines Nebeltages lassen erahnen, wie viele Spinnen auf den Bergheideflächen ihre Netze ausspannen, um von dem Insektenreichtum zu profitieren. Radnetze mit eingewebtem Zickzackband oder ein flaschenförmiger Eikokon zwischen den Kleinsträuchern verraten die Anwesenheit der gelb-schwarz gestreiften Wespenspinne (Abb. 22 und 23), eines wärmeliebenden Neuzuwanderers. Vogelkenner würden nach seltenen Heidelerchen, Wiesenpiepern oder gar dem höchst bedrohten Wendehals Ausschau halten.
Der vorgefundene Zustand
Voller Spannung machen wir uns auf den Weg. Aufwärts geht es entlang eines schmalen Pfades mit sandsteinverwittertem Untergrund. An manchen Stellen ist der Boden auffällig grau gebleicht und verrät dem Bodenkundler, dass es sich um Podsolböden (russ.: „Ascheboden“) handelt (Abb. 26), die ihre Entstehung zumeist einer Heideüberdeckung verdanken. Hohe Niederschläge, wie sie für den Gebirgskamm typisch sind, führen auf sauren Böden zu einer Auswaschung von Eisen- und Aluminiumverbindungen, die sich mit Sandkörnern zur darunterliegenden schwarzbraunen Ortsteinschicht verbacken. Podsolböden gelten als Zeiger großer Nährstoffarmut und starker Versauerung.
Hangaufwärts dehnen sich jetzt weitflächig Heidelbeerbestände aus, die in Teilen mit Totholz aus dem angrenzenden Waldbestand oder mit liegengelassenem Birken-Schnittholz zugedeckt sind. Ein schlechtes Gewissen hat dabei niemand, denn überall wird für eine Erhöhung des Totholzanteils geworben. Im Lebensraum Heide zeugt ein solches Handeln jedoch von fatalem Fehlverständnis. Man muss wissen, dass die überwiegende Zahl der hier lebenden Pflanzen Kinder des Lichtes sind, die Überdeckung und Beschattung absolut nicht vertragen! Besonders empfindlich reagiert dabei die Besenheide, die sich selbst von dichten Heidelbeerbeständen bedrängt fühlt. Es verwundert daher nicht, dass bei unserer Wanderung nur wenige Heidepflanzen zu entdecken sind. Zumeist stehen sie an offenen Böschungskanten oder vereinzelt auf kleinen Blößen. Denn nur dort, an diesen gesteinsdurchsetzten Rohbodenstellen können die Samen der Besenheide erfolgreich keimen.
Fast wären wir vorbei gegangen, noch einmal zurück. Eine Böschungskante zieht unsere Aufmerksamkeit auf sich. Hier erodiert der Hang, das Bodenmaterial ist in Bewegung. Durch den Pflanzenbewuchs entstehen an der Oberkante Überhänge – ideale Verstecke für die Berg-Eidechse mit darunter liegenden Sonnenplätzen. Auf den offenen, südexponierten Böden sehen wir zum ersten Mal graugrüne Becherflechten der Gattung Cladonia, die auf optimale Habitatbedingungen verweisen. Allgemeine Freude und Erstaunen ob der Farbenpracht erwecken die tomatenroten Fortpflanzungskörper einer weiteren Cladonia-Art (Abb. 27). Nur wenige wissen, dass es sich bei Flechten um Doppelwesen aus Pilz und Alge handelt, die als Besiedler von Holz, Gestein und kargen Böden zu den wertgebenden Arten der Heiden gerechnet werden. Preiselbeeren suchen wir auf der ganzen Wanderung vergeblich, obwohl sie in der „Flora von Lippe“ (MEIER-BÖKE 1978) noch 1970 für den Knickenhagen angegeben sind („kl. Bestand, Brinkmann“). Die Preiselbeere hat es schwer. Als Erstbesiedler frisch abgezogener Heideböden kommt sie mit einer dichten, höherwüchsigen Vegetation nicht mehr zurecht und muss weichen. Sie gehört laut aktueller Roter Liste (LANUV 2021) inzwischen zu den stark gefährdeten Arten.
Am Hang und beidseits des Weges nehmen jetzt gelb gebleichte Massenbestände des bis ein Meter hohen Pfeifengrases überhand und verdrängen die Heidevegetation. Genau wie der mehrfach noch auf unserer Wanderung anzutreffende Adlerfarn greifen diese beiden Störarten schnell Raum und scheinen sich quasi in die Heidelbeerbestände hineinzufressen. Die im Sommer schattenwerfenden, bis zwei Meter hohen Farnwedel sterben zum Herbst ab, neigen sich zu Boden, um als braunes Leichentuch alles unter sich zu begraben. Mit ihrer Fähigkeit, die dicken ockerbraunen Rohhumusdecken als Nährstoffquelle zu nutzen und für andere Pflanzen aufzuschließen, schaffen Adlerfarn und Pfeifengras die Grundlage, auf der sich Junggehölze ausbreiten können. In vielen Bereichen des nur episodisch mit Schafen der Biologischen Station Lippe beweideten Knickenhagen ist die als „Vergrasung“ bezeichnete erste Verbrachungsstufe der Heiden bereits deutlich vorangeschritten. Dass die Beweidung in ihrer Intensität nicht ausreicht, zeigt sich auch an den verdorrten Triebspitzen der vergreisten Heidelbeersträucher. Hier hätte höherer Beweidungsdruck zu mehr Verbiss und damit zu einer Verjüngung der Pflanzen führen müssen. In rasenartig verdichteten Beständen dringt inmitten von Pfeifengras und Adlerfarn bereits übermannshoher Baumjungwuchs in die Heidelbeerflächen ein und leitet zur zweiten Verbrachungsstufe, der „Verbuschung“, über. Es ist neben der Eberesche vor allem die als Pionierbaumart bekannte Birke, die ihre Samen mit dem Wind weiträumig ausstreut. Auf unserem Weg treffen wir die Mehrzahl der lichthungrigen Wacholder bereits inmitten eng stehender Jungbirken an. Bald schon, zum Laubaustrieb, werden sie im Dickicht verschwunden sein. Andere Wacholder stehen nahezu ganztägig im Schlagschatten hoher, weit ausladender Nadelbäume. Wacholderheiden gehören nicht nur im Kreis Lippe – aber hier besonders – zu den am stärksten gefährdeten Lebensräumen. Nahezu unbemerkt gehen sie verloren. Nur selten wie im Fall des im FFH/Naturschutzgebiet „Donoper Teiche-Hiddeser Bent“ gelegenen Kahlen Ehberges lassen sich die Verluste konkret nachweisen. Auf einem dort aufgenommenen Foto von 1920 (WEGNER 1920) mit freiem Blick zur Grotenburg ist eine offene, wacholderbestandene Heidefläche zu sehen (Abb. 28). Doch wer heute an dieser Stelle steht, wird von hochwüchsigem Wald umgeben, der jeden Blick in die Ferne verwehrt (Abb. 29). Nur spitzendürre, vergreiste Heidelbeersträucher inmitten von Pfeifengras und Adlerfarn haben als letzte Zeugen überlebt. Mit einer kurzen Anmerkung in der Flora von Lippe (MEIERBÖKE 1978) „1970, kümmernd, Brinkmann“, verliert sich die letzte Spur der ehemals zahlreichen Wacholder. Befremdlicherweise wird die einst ausgedehnte Wacholderheide des Kahlen Ehberges in der Gebietsbeschreibung des Biotopkatasters nicht einmal mehr erwähnt (LANUV NRW 2023: Schutzwürdige Biotope in Nordrhein-Westfalen) – und das in einem mit FFH-Schutzgesetzen belegten Gebiet von europaweiter Bedeutung! Eine Nachsuche im Rahmen der Florenkartierung NRW (LANUV) konnte nur noch die Verluste dokumentieren. Zu den verschollenen Arten des Kahlen Ehberges gehören die im Kreis Lippe heute ausgestorbene Arnika (Herbar MEIERBÖKE, Detmold, Beleg von 1949) und das Wald-Läusekraut (ebenda Beleg v. 1947).
Auch auf der Höhe des Bärensteins (Abb. 30), den wir westlich der Externsteine erreichen, fällt die dramatische Lage der Wacholder ins Auge (Abb. 31). Wir finden sie mehrheitlich versteckt unter dichtem Baumbewuchs. Vielfach niederliegend, verkrümmt wachsend ist zu ermessen, wie sehr die Beschattung durch hohe Nadelbäume und dichtlaubige Buchen an der Substanz der durchaus zähen Wacholder zehrt. Zersplitterte oder unter umgefallenen Bäumen begrabene Wacholder bieten Bilder der Zerstörung, die weh tun, gerade wenn man weiß, dass sich die über hundertjährigen Reliktbestände des Teutoburger Waldes derzeit nicht mehr aus Samen verjüngen können. Erinnert sei daran, dass sich der Landesverband in seinem 1960 erstellten Forstwirtschafts- und Landschaftsplan dazu bekannt hat, „die letzten Wacholder vor Beschattung und Zuwachsen zu bewahren“ (ROHLFS 1982).
Ausblick
Was bleibt von diesem Ausflug in die Geschichte und die Gegenwart der Bergheiden? Ein noch immer faszinierender Eindruck, den diese Landschaft auf den Betrachter ausübt, und das Gefühl, dass die Bergheiden des Teutoburger Waldes und Eggegebirges eng mit Lippischer Identität verbunden sind. Unsere Gespräche drehten sich um alte Erinnerungen an Familien- und Schulausflüge in die Bergheiden von Externsteinen und Lippischer Velmerstot, die uns allen ein Heimatgefühl vermittelt hatten. Doch stimmte der sonnige Vorfrühlingstag auch nachdenklich, weil genaues Beobachten und Wahrnehmen allen verdeutlicht hatte, wie sehr diese wertvollen Lebensräume aktuell gefährdet sind und wie schnell der Zerstörungsprozess voranschreitet! Es gilt genau hinzusehen und die Entstehungsgeschichte der Heiden zu verstehen, um schnell und konsequent geeignete Maßnahmen zur Rettung in Gang zu setzen. „Natur Natur sein lassen“ ist definitiv der falsche Weg! Nötig sind gezielte, teils auch gravierende Eingriffe seitens des Menschen. Im Boden ruht noch das langlebige Samenreservoir der Bergheide-Lebensgemeinschaft, das es zu aktivieren und zu fördern gilt, begleitet von einem konsequenten, regelmäßig praktizierten Pflegemanagement. Warum soll auf den Kammlagen von Teutoburger Wald und Eggegebirge nicht wieder das Lila der Heidesträucher leuchten?